Romana Del Negro

Annelise Zwez, ZEICHNEND DAS GESICHT DES TAGES ERTASTEND, Galerie Art-Etage, Bieler Tagblatt, 2009

27. März 2009
  • Einzelausstellung
    Galerie Art-Etage, Biel
  • Bieler Tagblatt
    Annelise Zwez, Kunstkritikerin

Zeichnend das Gesicht des Tages ertastend

Es ist ihre erste Einzelausstellung in Biel. Romana Del Negro zeigt in der Art-Etage einen Quer schnitt neuer Zeichnungen und eine Installation. Ihr Gast ist Eugen Del Negro.

„Das Wichtigste meiner Malerei ist, dass ich sie ohne irgendeine vorgefasste Idee beginne. Formfindung, Farben und Komposition ergeben sich assoziativ, aus dem Unbewussten“. Würde man das Wort „Malerei“ durch „Zeichnung“ ersetzen, so könnte der Satz von Romana Del Negro stammen.

Es ist aber Eugen Del Negro (geb. 1936 in Winterthur), der ihn formuliert hat. Die seit 2001 in Biel lebende Künstlerin verrät mit der Integration dreier Werke ihres Vaters, dass sie die Möglichkeit Erlebnisse, Empfindungen, Beobachtungen in Bilder umzusetzen seit ihrer Kindheit im zürcherischen Oberstammheim kennt. Eugen Del Negro ist im Raum Winterthur seit Jahrzehn ten ein bekannter Künstler mit einem vielfältigen, sich um 1990 in die Abstraktion wendenden Werk. Weil Romana Del Negro, dem Wunsch der Galerie nach einem Gast nachkommend, drei schwarz-weisse Malereien für Biel auswählte, zu denen sie eine besondere Beziehung hat, ist man geneigt bezüglich Schichtung, Räumlichkeit und Bewegung von einer gewissen Verwandt schaft zu sprechen, für das Gesamtwerk gilt das indes nicht. Die Unterschiedlichkeit der zwei Generationen zeigt sich vor allem darin, dass Eugen Del Negros Werk aus einer klassischen bild- und raumbezogenen Suche wächst, während Romana Del Negros Schaffen aus einer innere Regungen erfühlenden Befragung des Lebens und des eigenen Seins in der Welt Gestalt annimmt.

In welchen Dimensionen sich die Künstlerin Romana Del Negro zu bewegen vermag, zeigte 2006 ihre raumfüllende zeichnerisch-installative Einzelausstellung in Kunstmuseum Moutier und aktuell in der grossen Kunst am Bau-Arbeit für das Institut für Virologie an der Uni Irchel in Zürich (das BT berichtete). In Biel beteiligte sie sich alljährlich mit grösseren oder mehrteiligen, meist im weitesten Sinn zeichnerischen Arbeiten an den Weihnachtsausstellungen. Was im Wandel der Werk-Entwicklung auffällt, ist ein systemisches Moment, eine Vernetzung verschiedener Kräfte zu einem sich gegenseitig bedingenden Ganzen. Vereinfacht ausgedrückt ist es eine konstruktiven Parametern gehorchen des System, das von dynamischen Prozessen in ein fragiles Gleichgewicht versetzt wird. Gebautes und Gewachsenes, Körperliches und Architektonisches, Gewolltes und Erlittenes stehen in einer nie zu einem Ende kommenden Interaktion.

Dabei sind es die Kräfte, die am Werk sind, welche die Künstlerin besonders interessieren. Die Bilder, die dabei entstehen, bewegen sich dementsprechend hart an der Grenze zwischen as soziativ Er kennbarem und frei flottierender Ungegenständlichkeit. Im Gespräch vor den Bildern war von Ufos, Insekten, Räderwerken, aber auch von Organen und Orkanen, Nervenbahnen und Netzwerken die Rede.

Dass Romana Del Negro hiefür die Zeichnung als Medium wählt, hat nichts mit Zeichnung als Vorbereitung für etwas Weiteres zu tun, sondern mit der einzigartigen Unmittelbarkeit, welche die direkte Verbindung der Hirnströme mit der zeichnenden Hand sichtbar machen kann. „Es ist die Beobach tung des Geschehens auf dem Papier, das mich dazu führt, das Bedürfnis des Moments zu erkennen und zu Gestalt zu führen“, sagt die Künstlerin. Dass sie gleichwohl in Zyklen arbeitet, gewisse Modelle mehrfach erprobt, entspricht dem konzentrierten Bild-Dialog von bewusstem und unbewusstem Lenken respektive Lenkenlassen. Neben Bleistift, Farbstift, Pastellkreide und Kohle kommt vor allem dem Radiergummi als Werkzeug Bedeutung zu; er dient nicht dem Korrigieren von Fehlern, er greift vielmehr ein, zerstört – manchmal rabiat –, schafft Durch- und Einblicke, schafft dadurch aber auch Raum für die Fortsetzung des Bildprozesses.

Es ist erstaunlich und faszinierend zu beobachten wie beim Betrachten der Zeichnungen das aus dem persönlichen Erleben der Künstlerin Geschaffene in eine Meta-Ebene kippt. Unverhofft werden die Zeichnungen und insbesondere auch die Installation – eine Art materialisierter Raum-Zeichnung – zum eindrücklichen Bild für die Jetzt-Zeit, in der Fragilität, die Frage nach Zerfall, Zerstörung und Neukonstruktion von existentieller Bedeutung ist.