Romana Del Negro

Eve Hübscher, FRAGMENTE IM MALEREI /ZEICHNUNGS-KALEIDOSKOP, Laudatio, Kunsthalle Vebikus, 2021

Februar 2021
  • Einzelausstellung
    Vebikus Kunsthalle Schaffhausen

  • Laudatio
    Eve Hübscher, Kuratorin


Fragmente im Malerei/Zeichnungs-Kaleidoskop
Über Einzelteile, Bewegungen, Wandel, Körpergedächtnis und Umbrüche.

Liebe Besuchende, Liebe Romana, Maureen, Stefanie und Esther, Liebes Team vom Vebikus, herzlichen Dank für die Einladung der Laudatio zur Ausstellung der Secret Sisters (Esther Stewart, Maureen und Stefanie Kägi) sowie von Romana Del Negro. Seit Beginn der Recherchen zu den beiden Ausstellungen wandert eine Metapher durch meinen Kopf: die des Kaleidoskops. Stellen Sie sich Ihr Leben als Kaleidoskop vor, in welches bei jeder Begeg-nung mit Menschen, Objekten, Materialien, Momenten, Gefühlen ein weiteres Fragment beigefügt wird. Und je nach Intensität der Begegnung dreht sich unser Kaleidoskop nur sanft und kaum wahrnehmbar oder vehement, sodass die hineingeworfenen Bestandteile wild durcheinandergewürfelt und in neue Verbindungen gebracht werden. Unerwartete Kompositionen kommen so zum Vorschein: Neue Perspektiven tun sich auf, erweitern (bestenfalls) stetig unseren Horizont.

Ein Vorschlag in die Runde: Wir betrachten die kooperative Ausstellung der Secret Sisters als EIN Kaleidoskop, welches mit dem Titel „digitale Kommunikation“ beschriftet ist. Analysiert werden die individuellen Fragmente der jeweiligen Künstlerinnen und in einem weiteren Schritt die Vermischung und Sisterhood der selbigen.

Bei Romana Del Negro würde ich das Kaleidoskop schlicht und einfach mit dem Titel „Künstlerin Romana Del Negro“ versehen, da der Fokus auf ihrer künstlerischen Praxis selbst liegt, inklusive ihrem Umgang mit Materialien, inhaltlichen Fragestellungen und ganz spezifisch auf ihrem Körper als Erinnerungsträger. Doch dazu mehr später.

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  1. Kaleidoskop «Künstlerin Romana Del Negro»
    Materialfragmente und Körpergedächtnis und ein kleiner Vergleich zu den Kägi-Schwestern

Die letzte Arbeit „o.T“, welche ich von Romana Del Negro 2019 im Kunsthaus Pasquart in Biel gesehen habe, bestand aus Wachs und Farbpigmenten. Ein an der Wand verlaufender, langer und beleuchteter Glaskasten diente als Display. Die Objekte waren sowohl in als auch auf dem Glas selbst aufgelegt. Dadurch ergaben sich zwei Ebenen, welche, je nach Position des Betrachtenden, die Objekte in ein anderes Verhältnis rückte: So standen die Objekte zeitweise für sich alleine oder wurden durch die Veränderung des Blickwinkels, die doppelte Ebene und verstärkt durch das transluzide Material selbst zu ineinander übergreifende Gebilde.

Im selben Jahr präsentierte die Künstlerin auch die Arbeit „Raumzeichnung 2“ im Kammgarn West hier in Schaffhausen. Aufgespannt und horizontal parallellaufend waren 127 Nylonfäden, welche sie mittels dreier unterschiedlicher Farbpigmente einfärbte. Im Kern der Gesamtinstallation war ein dunkles Rot, rundherum ein Orange und im äusseren Radius dominierten Gelbtöne. Die Fäden liefen – frei von Pigmenten in ihrer Ursprungsfarbe Weiss – direkt in die ebenso weisse Wand über, sodass die ortsspezifische Installation schwebend anmutete. Was haben die vorhergehenden Arbeiten mit der hier präsentierten gemeinsam? Denn auf den ersten Blick erscheinen sie auf die Äusserlichkeit bezogen frappant unterschiedlich. Gemeinsamkeiten werden wahrnehmbar, wenn man sich dem Prozess der Produktion zuwendet – und dieser ist bei Romana Del Negro charakteristisch: Alle Arbeiten entstanden durch den unmittelbaren Kontakt mit den Händen und ohne technische Hilfsmittel wie Pinsel oder Stifte. Als wären ihre Hände die Augen selbst, ausgestattet mit abertausenden von Sensoren: Wahrgenommenes, Sichtbares wird durch das Betasten aufgenommen, anaylsiert, zerlegt und zerstückelt an die Grenze getrieben. Die ausgeführten Gesten und Begegnungen im Körper als Erinnerungen abgespeichert, jederzeit abrufbar und anwendbar in neuen Gebieten. Die bildhafte Vorstellung, dass Romana Del Negros Körper selbst das Kaleidsokop ist und sich jede Zelle an die Auseinandersetzung mit den jeweiligen Eigenschaften von Materialien erinnert, würde zusätzlich erklären, warum ihr das intuitive Schaffen so leicht von der Hand geht – im übertragenen als auch wörtlichen Sinn. Weiterer Antrieb ist ihre grosse Neugierde für Formen, Farben und Kompositionen und deren assoziativer Kombinierung sowie das Hin- und Herwechseln zwischen stilistischen und inhaltlichen Polaritäten wie Ordnung und Chaos, Natur und Architektur, Komposition und Variation. Jedes Werk von ihr vermittelt ein Gefühl von Vitalität und Dynamik.

Konkret sichtbar wird diese „Einverleibung“ früherer Prozesse in der hier ausgestellten Serie. Wiederzufinden sind die klaren Linien der Fadenarbeit im Kammgarn West sowie der Akt des Auftragens von Farbpigmenten auf das Trägermaterial mit ihren Händen: Das weisse Papier als Ausgangslage wird durch schimmernde und leichte Farbwolken – bestehend aus Farbpigmenten abgeraspelter Pastell-Stifte – zuerst gebrochen. Anschliessend zerteilt die Künstlerin die Flächen des Papiers durch aufgelegte Papierstreifen, reibt wiederum Farbpigmente ein, sodass sich klare Linien ergeben. Diesen Prozess wiederholt sie immer wieder, reibt ein, radiert aus, überlagert. Opake sowie schimmernde Farbflächen schichten sich durcheinander und suggerieren eine kaleidoskopähnliche Vertiefung, erinnern an Stile des abstrakten Kubismus.

Wie auch Maureen Kägi, arbeitet Romana Del Negro mit wiederholenden Bewegungen, die den ganzen Körper stark fordern. Während Maureen Kägi jedoch Illusionen schafft zwischen Digitalem und Handwerklichem und oft schwer zu erkennen ist, ob es sich nun um eine Fotografie, Malerei oder Zeichung handelt, ist bei Romana der analoge Duktus auf den ersten Blick erkennbar. Dies kann zurückzuführen sein auf ihre grosszügigen und teilweise sehr brachialen Bewegungen und der Verweigerung blanker, reiner Flächen. Alle beide – und hier ist sicherlich auch Stefanie Kägi einzuschliessen, jedoch nicht Esther Stewart, welche ihre Umsetzungsskizzen in der Regel minutiös plant und diese meist maschinell (und somit weitgehend fehlerfrei) ausführen lässt – sind nicht bestrebt, Perfektion zu erreichen, sondern sehen gerade im Wechsel von Zufall und Kontrolle ein enormes Potential, weil dies zu unerwarteten Entwicklungen führt. Diese lassen alle drei gekonnt in ihre Praxis einfliessen und überraschen auch mich wiederum jedes Mal aufs Neue positiv. Ich bin sicher, dass auch Sie sich diesem Spiel in Ihrem Rundgang kaum werden entziehen können.

Viel Vergnügen wünsche ich. Und möge sich Ihr eigenes Kaleidoskop bei der Betrachtung der Ausstellung in Bewegung setzen.