27. März 2021 - 2. Mai 2021
Saaltext:
Den Raum zerschneiden und gleichzeitig neue Räume schaffen. Dies ist bezeichnend in den Bildern von Romana Del Negro und vielleicht das Leitmotiv ihrer Arbeiten und ihrer Arbeit. Die von Linien durchzogenen Blätter erzeugen eine Art von Prismen, welche mit farbigem Pigment koloriert sind, manchmal dicht und undurchlässig, manchmal leicht schimmernd und Licht durchlässig. Dabei entfalten sich in diesem, auf den ersten Blick wirren Durcheinander, unerwartete Tiefen und dynamische Lichtspiele, die den Arbeiten viel Raum und gleichzeitig Reflexionspotential geben. Ein Raum, der intuitiv komponiert ist, aber dem Zufall nichts überlässt. Was als Anarchie der Formen und Farben wirkt, besitzt Struktur und Ordnung. Romana Del Negro verbindet bewusst diese Seiten miteinander, womit sie auf frühere Arbeiten und Installationen zurückgreift, in welchen sie Nylonfäden von einer Wand auf die Andere spannte und somit dem Betrachter ein neues Raumgefühl abverlangte. Dieses neue Raumgefühl wird in den aktuellen Arbeiten zweidimensional auf Papier gebannt und mit Farbpigmenten in unerwartete, raumgreifende Dimensionen übertragen. Eine herausfordernde künstlerische Aufgabe.
Diese Arbeiten von Romana Del Negro brauchen einen Umgebungs-Raum, der in sich ruht, der genügend Höhe hat und der Betrachterin genügend Abstand zum Werk erlaubt. Trotz dem randabfallenden Bildaufbau sind die Arbeiten in sich abgeschlossen, sie verlangen nach einem Bild-Rahmen. Und doch schreiben sie sich in den Raum ein und geben ihm eine fremdartige Lebendigkeit. Ferne Erinnerungen an farbige Kirchenfester werden wach und ein Hauch von Futurismus schwingt mit; Stimmungen und Visionen aus der ersten Hälfte des 20 Jahrhunderts ziehen vor dem geistigen Auge vorbei. Ein undefinierbares Licht scheint die Bildfläche von hinten matt zu durchringen und bettet die gezackten Formen über pigmentfreie Zonen in ein von diesem Licht getragenes Netz ein. Die Pigmente sind in das Papier eingerieben, verschmelzen mit ihm. Es ist ein zeichnerisches Prinzip, keine Malerei, keine Komposition im klassischen Sinne, sondern ein Herausschälen der Lichtflächen.
Die Werke suchen rücksichtsvoll aber mit grosser Bestimmtheit die BetrachterInnen in eine vielleicht fremde Welt mit zu nehmen. Ist diese Welt im Innersten aus kristallenen Formen aufgebaut? Sind die Bilder von Romana Del Negro Abbild oder Vision? Schauen wir nach Innen oder nach Aussen? Ist es Kosmos, Einsicht, Erkenntnis oder Dekoration? Wie auch immer man die Antworten dreht und formuliert, diese Arbeiten von Romana Del Negro lassen uns im Ungewissen und sind auf eine wunderbare Art unbequem. Sie biedern sich keiner aktuellen Ästhetik an, gehen eigene Wege, sind im Sinne des Wortes eigenwillig. Sie drängen ihre Logik der BetrachterIn nur kurz auf, um sich im nächsten Augenblick feinfühlig in den Raum einzufügen.
Die Räume der Kunsthalle Vebikus sind ein Glücksfall für die Arbeiten von Romana Del Negro. Der hohe Hauptraum nimmt die Hochformate ganz natürlich in sich auf und gibt ihnen den benötigten Platz. Die Fenster mit ihren Unterteilungen in Vier- und Rechtecke werden zum ruhenden Gegenpol; sie sind wie das Alter-Ego dieser Arbeiten von Romana Del Negro. Gleiches gilt für die tragende Struktur des Raumes mit den gusseisernen Stützen und den Metallträgern, Reminiszenzen einer vergangenen Industriekultur. Sie sind die perfekte Bühne für diese Arbeiten, deren ästhetische Wurzeln in der Vergangenheit sind und unaufgeregt die Zeit überdauern. Thomas Schmutz
Foto: Tom Bisig
https://www.vebikus-kunsthalle-schaffhausen.ch/ausstellung-1-2021/